Dieser Beitrag soll die Reihe der Literaturempfehlungen vorerst beenden. Da unsere Zeit zuhause nun aber noch einmal deutlich verlängert wurde, werden vielleicht auch noch weitere Teile erscheinen. Vielleicht aber auch nicht. Für den fünften Teil habe ich diesmal sogar vier Bücher vorbereitet, von denen alle bis auf eins recht neu sind. Die Bücher befassen sich alle im weitesten Sinne mit dem Thema Gesellschaft, jedoch auf sehr unterschiedliche Arten und mit verschiedenen Unterthemen.
Nichts. Was im Leben wichtig ist von Jana Teller
„Nichts. Was im Leben wichtig ist“ von Jana Teller erschien im Jahr 2000 unter dem dänischen Originaltitel „Intet“ und im Jahr 2010 auf Deutsch. Der Roman handelt von einer Gruppe Jugendlicher in einer dänischen Kleinstadt. Ihr Mitschüler Pierre Anthon eröffnet ihnen eines Tages, nichts im Leben habe eine Bedeutung, weshalb es sich nicht lohne, irgendetwas zu tun und verlässt die Klasse. Die Schüler*innen sind schockiert: Hat Pierre Anthon recht? Hat wirklich nichts im Leben eine Bedeutung? Nicht die Schule, nicht die Freunde, das Elternhaus, die erste große Liebe, nicht der Glaube an Gott und das eigene Land? Sie beschließen, ihm das Gegenteil zu beweisen und beginnen, einen Berg von Dingen, die ihnen lieb und teuer sind, anzuhäufen, zu dem jeder etwas beitragen muss. Doch was harmlos beginnt, entwickelt sich rasant zu einer dramatischen Eskalation als sogar Tiere, ein Finger und die „Unschuld“ eines Mädchens geopfert werden…
Jana Tellers „Nichts“ ist das einzige echte Jugendbuch in dieser Reihe, aus dem einfachen Grund, dass ich die überwältigende Mehrheit von Jugendbüchern für belanglos und nichts lesenswert halte. Dieses ist zwar so geschrieben, dass es für Jugendliche ansprechend und verständlich ist, inhaltlich steht es echter Literatur aber in nichts nach. Das ist aber nicht das einzige, was den dänischen Roman zu etwas ganz besonderem macht. Er ist seit seiner Veröffentlichung heftig umstritten und löste einen solchen Skandal aus, dass es an dänischen Schulen zeitweise verboten war. Grund dafür sind die ausgeprägten nihilistischen Aussagen des Werkes, von denen ich durchaus denke, dass sie für manchen Menschen und insbesondere Jugendliche schwer zu bewältigen sein könnten. Doch gerade das macht den Roman meiner Meinung nach so lesenswert und wichtig. Ihn zu verbieten spricht, so denke ich, jungen Menschen die Fähigkeit ab, reflektiert zu lesen und mündig zu handeln.
Der Roman ist sehr philosophisch und ist daher für diejenigen Leser*innen empfehlenswert, die sich für ebensolche Fragestellungen im Allgemeinen und den Nihilismus im Besondern interessieren. Ich selbst habe den Roman im Alter von 13 Jahren gelesen.
Nicht ohne meine Tochter von Betty Mahmoody
„Nicht ohne meine Tochter“ von Betty Mahmoody erschien im Jahr 1988 unter dem Originaltitel „Not Without My Daughter“. Der Roman erzählt die Geschichte der US-Amerikanerin Betty Mahmoody, die im Jahr 1984 mit ihrem iranischen Mann, der in den USA als Arzt arbeitet, und ihrer vierjährigen Tochter Mahtob für einen zweiwöchigen Besuch bei ihren iranischen Verwandten nach Teheran reist. Doch bald nach ihrer Ankunft muss sie herausfinden, dass ihr Mann keine Rückreise in die USA plant, sondern mit ihr und Mahtob von nun an gegen ihren Willen im Iran leben will. Darüber hinaus verändert er sich immer mehr: Er schlägt Betty und Mahtob und sperrt sie ein. Als es Betty endlich gelingt, Kontakt zur schweizerischen Botschaft aufzunehmen, sagt man ihr dort, dass sie das Land nur ohne ihre Tochter verlassen könne. Das aber will sie unter keinen Umständen…
„Nicht ohne meine Tochter“ erzählt die wahre Geschichte von Betty und Mahtob Mahmoody. Was die beiden und insbesondere Betty erleiden mussten, ist für mich kaum vorstellbar. Die Lektüre des Romans kann aber durch seine detaillierten und eindrucksvollen das Schicksal all derjenigen, die ähnliches durchleiden mussten, begreifbarer machen. Gerade diese Beschreibungen und die uns so ferne Welt des Irans und seines Frauenbilds machen das Buch hochspannend und absolut lesenswert. Man darf allerdings nicht verschweigen, dass das Buch ein subjektiver Erfahrungsbericht ist und auch als solcher gelesen werden sollte. Insbesondere das Bild, das Mahmoody von den Iranern zeichnet wurde immer wieder als rassistisch oder stereotyp kritisiert. Ich persönlich denke nicht, dass Mahmoody oder ihr Werk rassistisch sind, aber davon sollte sich jeder selbst ein Bild machen.
Für mich waren besonders das Frauenbild im Iran der achtziger Jahre hochinteressant, aber ich denke, dass das Buch viele Facetten bietet und damit für jede*n lesenwert ist. Ich selbst habe den Roman mit 13 gelesen.
Die letzten Tage des Patriarchats von Margarete Stokowski
„Die letzten Tage des Patriarchats“ von Margarete Stokowski erschien im Jahr 2018. Margarete Stokowski ist Kolumnistin und Autorin und schreibt unteranderem für den „Spiegel“. Ihr zweites Buch beinhaltet eine Sammlung ihrer Kolumnen und Essays der letzten Jahre. Diese zeigt wie sich das Patriarchat in seinen „letzten Tagen“ noch immer gegen seinen Untergang wehrt. Stokowski behandelt dabei Themen wie Sexismus, Gewalt, Rechtsextremismus, Schönheitsvorstellungen oder die Medien und den öffentlichen Diskurs (und noch viele weitere). Viele Beiträge hat sie darüber hinaus kommentiert und ausgewählte Reaktionen von Leser*innen auf selbige veröffentlicht. Da manche Kolumnen (zur Zeit ihrer Veröffentlichung) tagesaktuelle Themen beinhalten, deren genauen Kontext man sich unter Umständen auf Grund der verstrichenen Zeit nicht mehr bewusst ist, sind hierfür ebenfalls Erläuterungen eingefügt worden. Ihr Buch ist ein Abbild der vergangenen Jahre und macht deutlich, dass es für uns alle noch einiges zutun gibt im Kampf gegen Sexismus (Zwinkersmiley) und auf dem Weg in eine gleichberechtigte Gesellschaft.
Margarete Stokowski gehört zu den bekanntesten Feministinnen Deutschlands und ich denke, wenn man noch nicht viel von ihr gelesen hat, ist dieses Buch ideal, um sie und ihre Positionen kennenzulernen. Das Buch bringt seine Leser*innen dazu, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und öffnet die Augen für Probleme und Chancen, denen man sich vorher unter Umständen noch nicht bewusst war. Darüber hinaus zitiert Stokowski auch immer wieder andere Feminist*innen und Philosoph*innen, wodurch man einen generellen ersten Einblick in die Kämpfe des Feminismus erhält. Vorwissen ist zum Verständnis dieses Buches also keinesfalls notwendig. Ebenfalls keineswegs notwendig für die Lektüre ist die Identifikation mit dem weiblichen Geschlecht. Stokowski schildert sehr überzeugend, warum Männer im Patriarchat ebenso leiden können wie Frauen und warum es auch für sie sinnvoll ist, sich dem Feminismus anzuschließen.
Dieses Buch kann einfach jede*r mit Interesse an Politik und Gesellschaft lesen auch dann, wenn man sich normalerweise nicht mit dem Feminismus beschäftigt oder Stokowskis Positionen kritisch sieht. Ich selbst stimme ihr auch bei vielen Themen nicht zu und würde mich generell auch einer anderen politischen Gesinnung als ihrer zuordnen. Trotzdem halte ich es für sehr wichtig, sich immer auch mit völlig anderen Meinungen und Ideen auseinanderzusetzten.
Der Store von Rob Hart
„Der Store“ von Rob Hart erschien im Jahr 2019 unter dem Originaltitel „The Warehouse“. Der Roman erzählt von einer fiktiven Zukunft, in der „Cloud“, der größte Onlinestore der Welt, beinahe den gesamten Einzelhandelsmarkt in sich vereint. Fast jede*r, die/der noch einen sicheren Arbeitsplatz sucht, kommt nicht darum herum, sich bei Cloud zu bewerben. Das Unternehmen bietet seinen Mitarbeiter*innen einen eigenen Campus mit Wohnanlagen, Läden, Freizeiteinrichtungen und sogar einer eigenen Währung. Die Angestellten arbeiten dort in den unterschiedlichsten Positionen: von der Logistikarbeiterin über den Sicherheitsbeauftragten bis zur Managerin ist sowohl Aufstieg als auch Abstieg möglich. Auf einem Campus von Cloud lernen sich Paxton und Zinnia kennen und kommen sich immer näher, obwohl sie ganz unterschiedliche Ziele verfolgen. Beide bemerken jedoch schnell, dass sich niemand der ständigen Überwachung von Cloud entziehen kann und wie sehr man an seine Grenzen gehen muss, um seinen Job zu behalten. Was sie jedoch nicht ahnen ist, wie weit das Unternehmen geht, um die perfekte Welt von Cloud vor seinen Gegner*innen zu schützen…
Das fiktive Unternehmen „Cloud“ ist in seinem Aufbau und seinen Methoden stark an Amazon angelehnt. Natürlich kann man beides nicht völlig miteinander vergleichen, da wir von einem omnipotenten Unternehmen wie Cloud doch noch ein wenig entfernt sind. Doch die internen Hierarchieverhältnisse und der Umgang mit seinen Mitarbeitern entfernen Amazon nur noch um wenige Komponenten von Cloud. Auch die Marktmacht von Amazon wächst immer schneller und ich denke, dass „Der Store“ in dieser Hinsicht definitiv eine Warnung an uns alle ausspricht. „Der Store“ liest sich auch unabhängig von der Geschichte seiner Protagonist*innen sehr spannend und zeigt uns, was vielleicht schon in naher Zukunft möglich sein wird. Und er lässt uns darüber nachdenken, ob wir das wirklich wollen können und wie viel Macht wir großen Unternehmen wie z.B Amazon noch über uns geben wollen.
„Der Store“ ist trotz seiner großen Aktualität in Teilen etwas seicht und daher nicht wirklich vergleichbar mit anderen Dystopien wie z.B 1984 und Schöne Neue Welt. Gerade das kann ihn aber auch attraktiv machen, da es eben weniger schwere Kost ist. Gelesen habe ich den Roman mit 17.