Wir als stetig liberaler werdende Gesellschaft haben es uns über Jahre hinweg angeeignet, zu versuchen, einander moralisch überlegen zu sein: Während vor 40 Jahren ein Porsche als Status-Symbol gesehen wurde, werden heutzutage in der Konsumisten-Welt andere Dinge als erstrebenswert gesehen; Tesla nimmt die Stelle des Verbrenners ein, und in Plastik verpacktes Essen wurde durch in Ikea-Gläsern aufbewahrten, unverpackten Snacks ersetzt. Die These, dass wir dies nicht nur wegen der Umwelt tun, sondern auch, um uns selbst zu beweisen, wie modern und progressiv wir sind, mag gewagt sein, doch sie wird durch ein welt-weites Phänomen gestutzt: Gentrification, Baby!
Der bereits für das Jahr 1888 nachweisbare Begriff gentrification wurde 1964 von der britischen Stadtsoziologin Ruth Glass aufgenommen. Sie nutzte ihn für das Phänomen des Zuzugs von Mittelschichtfamilien in den ursprünglich vor allem von Arbeitern bewohnten Londoner Stadtteil Islington. Dies hatte den Stadtteil in seiner sozialen Struktur signifikant verändert. Glass sah dabei eine Analogie zu Vorgängen im 18. Jahrhundert, als Teile des niederen Adels (Gentry) vom Rand der Städte zurück in die Zentren zogen
Das Wort Gentrifizierung beschreibt den sozioökologischen Strukturen-Wandel in Großstädten. Damit verbunden sei ebenfalls der Austausch ganzer Bevölkerungsgruppen- und vor allem Schichten. Weniger kompliziert heißt dies, das Gebiete, die einst einem anderem Zweck dienten, durch andere, höhere Schichten aufgekauft werden, und ihrem Trends und kulturellen Vorstellungen angepasst werden; Wo einst noch ein altbewährtes Cafe-Haus stand, das sich gerade einmal mit Trinkgeld schafft, über Wasser zu halten, befindet sich mit Gentrifizierung nun ein hippes Coworking-Cafe, das mit kostenlosem W-Lan, einer vermeintlich progressiv-coolen Art und überteuertem Kaffee wirbt. Dies kann sowohl Positives als auch Negatives hervorbringen: Der Versuch, neue Kulturen in Gebiete zu bringen und sie somit vielleicht attraktiver für Besucher zu machen, ist keine dumme Idee. Was jedoch in 90 Prozent der Fälle auftritt, ist, dass sich dadurch riesige Kluften zwischen mehreren Schichten entwickeln können.
Gentrifizierung und Hipster
Das Wort “Hipster“ ist ein mittlerweile abwertender Begriff, der sich in den 50ern in den USA als urbane Bewegung der Mittelklasse. Abheben taten sich Hipster mit ihrem eher alternativen Kultur (so alternativ wie es die 50er in den USA erlaubten) und durch einen bestimmten Look (schwarze Kleidung, Baskenmützen, Sonnenbrillen und Ziegenbärtchen). Verehrt wurden schwarze Jazzmusiker und weiße Poeten. Oft gerät in Vergessenheit, dass die ersten Hipster eine eher überschaubare Gruppe waren, bis sie sich in dieser Art in den 60ern langsam auflösten.
Das, was wir uns heutzutage oft nicht ohne spöttischem Unterton unter Hipstern vorstellen, sind Millenials, vorwiegend aus der Mittelschicht, die sich mit avantgarde-esquer Musik und Popkultur befassen. Sie tragen ihrer Meinung nach ausgefallene, oft retro-wirkende Kleidung und stellen sich als besonders umweltbewusst dar (wobei sie anscheinend vergessen, dass sich für die Batterie ihres Teslas nicht nur Kinder zu Tode arbeiten mussten, sondern auch zwischen 100 und 200 KG CO2 verursacht wurden). Bis in die 90er hinweg wurden sie mit Nerds zusammen in einem Topf geworfen, da beide Subkulturen sich durch sarkastisch-trockenen Humor auszeichneten, jedoch ist das Bild des heutigen Hipsters klar: Leute, die ihrem Vollbart mit schwedischer Rasiercreme behandeln , zum Einkaufen lieber zum Unverpacktladen fahren, und es genießen, andere Kulturen kennenzulernen (aka, die Kulturen, die andere Hipster als cool sehen). Sie sind straight edge, machen sich über “Spießer“ lustig und, sie sind einer der Gründe, weswegen Wohnungen in Größstädten fast unbezahlbar geworden sind.
Oft werden sozial eher benachteiligte Viertel gentrifiziert. Der Grund dafür ist, dass in diesen oft viele verschiedene Kulturen miteinander leben, und dies ist perfekt, um kleine Künstler- und Restaurant-Viertel zu bauen: Eine Folge dessen ist jedoch, dass somit die originale Bevölkerungsschicht vertrieben wird: Wenn immer mehr Menschen aus der oberen Mittelschicht zuziehen, um in einem hippen Gebiet zu wohnen, werden die Mieten teurer, und bereits bewährte Läden und Restaurants, müssen durch den Andrang neuer Geschäfte, die eröffnen, schließen. Anstelle dieser eröffnen Establishments, die auf Menschen mit mehr Geld zugeschnitten sind, wie die bereits erwähnten Unverpackt-Läden, oder Restaurants, die neben interessanten Gerichten ebenfalls eine horrende Rechnung bieten.
Was jedoch ironisch ist, ist, dass all dies oft durch die Hand der Menschen geschieht, die sich gerade ja so für Moralität und Equalität einsetzen: Während sie die unteren Bevölkerungsschichten vertreiben, halten sie Vorträge darüber, wie wichtig Politische Korrektheit doch sei.
Trotz all dessen ist nicht jeder Aspekt der Gentrifizierung heuchlerisch: Die Ideen, die viele Läden umsetzen, sind oft interessant und spaßig (Wie Coworking-Cafes, wo man miteinander arbeiten kann), und die Akzeptanz, die diese oft sehr liberalen Viertel bieten, ist (meistens) auch sehr positiv. Auch der Versuch, bewusster mit seiner Umwelt umzugehen ist ein guter Ansatz. Aber, nichtsdestotrotz: Wenn alles teurer wird, wer will es sich dann noch leisten?
quellen: Wikipedia, eigene Recherchen, Hintergrundwissen
Ein hervorragender Artikel. Ich habe ihn sehr gern gelesen.