Wer sind Verschwörungstheoretiker*innen? Und können wir auch alle zu welchen werden? Corona-Demos sind heute Schauplatz ihrer Mythen und die Bilder in den Nachrichten sind uns vertraut. Mit den Beweggründen der Verschwörungstheoretiker*innen hingegen sind nur die Wenigsten vertraut. Die Frage, die wir uns stellen sollten, ist also die folgende: Warum hält diese Minderheit der Gesellschaft ihre Erdichtungen für zutreffend und in erster Linie unumstößlich?
Beginnen wir mit der Frage, die am eindeutigsten zu beantworten ist. Ja, wir alle können zu Verschwörungstheoretiker*innen werden. Bei Menschen mit gewissen Charaktereigenschaften ist die Wahrscheinlichkeit jedoch höher, sich in dieser uns fernen Gedankenblase zu verlieren.
In bedrohlichen und belastenden Situationen suchen Menschen nach Antworten und Orientierung, um Halt zu gewinnen. Es ist die Pflicht einer transparenten Staatsführung, in solchen Zeiten diese Antworten zu liefern. Politikverdrossenheit und Angst vor Manipulation oder Irreführung durch die Regierung können dafür durch Marginalisierung anfälligere Menschen zur Suche nach Antworten auf weniger offiziellen und evidenten Plattformen und Veranstaltungen zur Meinungsbildung, z.B. Telegram, verleiten. Unzufrieden mit dem politischen Weg eines Landes sind vorwiegend Menschen, die Mitglieder von Oppositionsparteien sind oder sich mit Ansichten politischer Randgebiete identifizieren können, falls die Regierung der politischen Mitte entstammt, wie es in Deutschland der Fall ist.
Unter Gleichgesinnten verbreitet und verfestigt sich anschließend das Misstrauen und die Abgrenzung von dem allgemeingültigen Konsens, wodurch nur noch Legitimation für die eigene Denkweise gesucht wird und wissenschaftliche Beweise offizieller Institutionen verschmäht oder gezielt verdreht werden. Durch diese Abgrenzung wächst das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und der Einzigartigkeit dieser und ihrer Mitglieder. Deren Selbstwertgefühl steigert sich und sie werden konfrontations- und auch gewaltbereiter durch die Annahme, die Welt vor ihrer Verblendung retten zu müssen. Die Erklärung und der Weg, die von den Verschwörungsmythen vorgegeben sind, werden von vielen Anhänger*innen als Erleuchtung empfunden. Aus besagter heroischer Annahme schöpft die Negation der allgemein anerkannten Ansichten Kraft, bis jeder Mensch, der dem Weg der Verschwörungsmythen nicht folgt, als Bestätigung für die Bedeutung der Verbreitung der mythischen Denkweise gewertet wird.
Die Persönlichkeit eines Menschen ist folglich ausschlaggebend für die Wahrscheinlichkeit, mit der er Zweifel an dem allgemeingültigen Konsens hegt. Das Alter, der Bildungsstand oder die Religion hingegen nehmen kaum Einfluss auf die Neigung, Verschwörungsmythen und ihrer Halt gebenden Funktion zu verfallen. Auch das Geschlecht spielt nur eine kleine Rolle. Zwar sind laut Studien Männer narzisstischer veranlagt als Frauen, wodurch sie eher dazu neigen, ihre Angst und Hilflosigkeit in schwierigen Situationen durch Abwertung anderer Menschen oder Menschengruppen und Wut auszugleichen zu versuchen, doch wirklich ausschlaggebend ist dies nicht.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Verschwörungstheoretiker*innen Menschen jeden Alters, Bildungsstandes, Geschlechts und jeder Religion sein können und dass diese Menschen im Grunde genommen nicht anders sind als wir. Was sie jedoch von der Mehrheit der Gesellschaft unterscheidet, ist ihre Entschlossenheit und ihr Beharren auf eine nicht bewiesene oder bereits widerlegte Auffassung, die eine sachliche Konversation erschweren oder gänzlich unterbinden können. Dennoch sollten wir nicht den Fehler begehen, die Menschen dieser Gruppe durch unser Handeln weiter in die Verdrossenheit und Marginalisierung zu treiben. Kaum ein Mensch, der sich nicht gehört und verstanden fühlt, wäre kompromisslos dazu bereit, seine offensive Vorgehensweise zu revidieren. Selbstverständlich muss Menschen Einhalt geboten werden, die durch ihr Verhalten andere Menschen gefährden, doch ist dies allein nicht zielführend, wenn im Anschluss vor Konfliktlösungen geflohen wird oder gemeinsame Gespräche grundlegend eingestellt werden. Jede und jeder von uns kann mit aufgeschlossenen Umgangsformen versuchen, einen kleinen Teil zur Überquerung des Spalts in Mitten unserer Gesellschaft beizutragen.
Der Versuch Menschen von ihrem Glauben abzubringen kann überaus erschöpfend sein. Hilfreich ist es, sich im Vorhinein eines solchen Gesprächs gründlich zu informieren, um nachfolgend Fragen zu den Verschwörungsmythen stellen zu können, die trotz ihrer Rechtfertigungen und Erläuterungen offen geblieben sind. Eine weitestgehend objektive und ruhige Umgangsform ist dabei der Schlüssel. Die gegebenenfalls entstehende Konversation mag das Gegenüber vielleicht nicht direkt von seinem Glauben loslösen, doch sie könnte sehr wohl dazu führen, dass es sich einmal mehr mit den Theorien und deren Wahrheitsgehalt auseinandersetzt. Und mehr können wir erstmal nicht verlangen, da die Meinungsbildung häufig ein Prozess und selten eine Entscheidung innerhalb eines Sekundenbruchteils ist.
verfasst von Mia Kränert, Johan Lüthje und Anouk Wollmer