Glück – Ein Gastbeitrag aus Taiwan

Was ist Glück? – Ehrlich gesagt, ich kenne die Antwort nicht. Aber selbst wenn ich sie wüsste, würde ich sie andieser Stelle wohl nicht niederschreiben. Denn ich denke, dass es auf dieseFrage keine definitive Antwort gibt, sondern jeder seine eigene finden muss.

Nochvor einigen Wochen war ich mir recht sicher: Um glücklich zu sein, braucht manein stabiles Lebensumfeld, bekannte Menschen, die einen schätzen, und vor allemein Zuhause, also einen bekannten Ort, an den man sich zurückziehen kann. Doch nun, nach ungefähr 2,5 Monaten in Kaohsiung, Taiwan kann ich mit Sicherheit sagen: So einfach ist es definitiv nicht.

Als ich in den Flieger nach Taipeh stieg, ließ ich nämlich genau das hinter mir. Und obwohl ich seitdem die meisten dieser Dinge wiedergewonnen habe, musste ich in den ersten Tagen ohne sie auskommen. Natürlich hatte ich ein Dach über dem Kopf, doch es war nicht mein Zuhause, zumindest noch nicht. Und natürlich hatte ich Menschen, die auf mich aufpassten, doch waren dies weder Freunde noch Familie. Es waren Aufpasser. Freundliche Aufpasser, die ihre Aufgabe sehr gutmachten, aber dennoch nur Aufpasser. Alles, was ich vorher kannte, verschwand von einem Moment auf den nächsten. Die Menschen, die Sprache, die Umgebung. Alles anders. Und dennochzählen meine ersten Tage hier zu den schönsten, die ich jemals erleben durfte.

Wie im Rausch habe ich viele Orte besucht, Fotos gemacht, Leute kennengelernt und Chinesisch geübt. Obwohl dabei mein Schlaf durchaus gelitten hat, (hatte ich doch schon während des Flugs keine Gelegenheit gehabt zu schlafen… Turbulenzen sind uncool, wenn man ein schreiendes Baby hinter sich hat. Fast so uncool wie als 2-Meter-Mensch einen Fensterplatz in der engsten Ecke der Economy-Class-Hölle zu bekommen.) war ich doch die ganze Zeit glücklich. Es war, als würde die Spannung, die sich seit der Akzeptierung meiner Bewerbung vor mehr als einem Jahr langsam aufgebaut hat, deren Existenz ich mir aber erst bei Abflug bewusst wurde, von mir abfallen. Ich war mir zum ersten Mal wirklich bewusst, dass ich das tatsächlich durchziehe, und es auch keinen Weg zurück oder Plan B mehr gibt.

Wares zu Beginn noch der aufregende Start eines Fallschirmsprungs ins Ungewisse, war es später das Wissen, dass ich tatsächlich gelandet bin.

Ich war einfach glücklich. Ohne viel Besitz, ohne Familie, ohne Zuhause. Doch damit war natürlich auch meine Definition des Glücks falsifiziert. Also was nun?

Ich habe seitdem die Möglichkeit gehabt, mit vielen verschiedenen Personen aus verschiedenen Ländern über die Frage des Glücks zu diskutieren. Doch die Antworten, die ich erhielt, waren meines Erachtens nach wenig zufriedenstellend. Von „hier zu sein” bis „also ein Burger würde mich jetzt glücklich machen” war alles dabei.

Doch eine Antwort faszinierte mich: Von sehr vielen Taiwanern, besonders von Schülern, erhielt ich die vielsagende Antwort, ich „denke zu viel, das ist nicht so gut.” und ich solle “einfach glücklich sein”. Wichtig seien erstmal nur die Schulleistung und die Familie. Für Glück sei später noch Zeit. Und tatsächlich scheint das ein zentraler Unterschied zwischen Taiwan und Deutschland zu sein.

In Taiwan geht es sehr oft um den Beruf oder die Schule sowie die eigene Ehre und das Wohlbefinden der Familie. Und obwohl diese Aspekte natürlich auch in Deutschland eine Rolle spielen, fand ich sie in Taiwan deutlich zentraler und fast konkurrenzlos, während in Deutschland meines Empfindens nach auch persönliches Wohlempfinden als wichtig empfunden wird, um glücklich zu sein. Die Menschen scheinen hier einfach etwas selbstloser zu sein als in Europa.

Momentansehe ich, wie sich genau diese Annahme bestätigt. Denn obwohl viele der Menschen hier Probleme haben, Frankreich von Europa oder Dänemark zu differenzieren, scheinen sie im Rahmen der Attacken in Paris erkannt zu haben, dass etwas getan werden muss: Alle suchen nach einem Weg, um zu helfen. Undwie es scheint, haben sie einen gefunden. Überall um mich herum sehe ich Menschen, die einen großen Teil ihres Monatseinkommens an das französische Rote Kreuz spenden.

Ich habe dabei die Gelegenheit gehabt, mit einem alten Taiwaner zu reden, der, obwohl er selbst arm war, alles, was er kann, an unterschiedliche Organisationen spendet. Als ich ihn fragte, ob er das Geld nicht selber verwenden wolle/könnte, lächelte er gütig und antwortete: „Ja schon, aber ich sie brauchen es mehr als ich. Ich lebe meines Erachtens nach mehr als ausreichend. Ich möchte keinen Luxus, wenn nicht jeder andere ihn auch haben kann.” Und egal, ob man es für eine gute Entscheidung hält, mehr zu geben, als man hat, so denke ich, dass man sagen kann, dass sich Deutsche von der Mentalität Taiwans durchaus eine Scheibe abschneiden können.

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