Im Themenkomplex „Zusammenhang von Sprache, Denken und Wirklichkeit“ stand in allen Deutsch-Kursen in Q1 in diesem Halbjahr unter anderem auch das Thema gendergerechte Sprache auf dem Programm. Die unterrichtenden Lehrkräfte Frau Doerfel, Frau M. Schmidt und Frau Herbst waren erstaunt, welche Einstellung Schüler und auch Schülerinnen zu diesem Thema vertraten.
Das Thema Gleichberechtigung sei zum Glück längst abgeschlossen, auf jeden Fall hier in Deutschland, so hätten Frauen gleiche Rechte wie Männer und die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern funktioniere wunderbar. Ungleiche Löhne bei gleicher Qualifikation beispielsweise konnten die SchülerInnen sich nur schwer vorstellen.
Auf jeden Fall aber sei gendergerechte Sprache überflüssig und hemme den Sprachfluss, dies sei nur ein Nebenkriegsschauplatz, der mit tatsächlicher Gleichberechtigung nichts zu tun habe. So und ähnlich lauteten die Ausgangspositionen vor Beginn der Beschäftigung mit dem Thema. Hierzu wurden dann verschiedene argumentative Positionen von SprachwissenschaftlerInnen sowie PolitikerInnen erarbeitet.
In der Klausur erhielten die SchülerInnen dann einen Auszug aus dem Artikel „Der Genderkampf verhunzt die deutsche Sprache“ von Ingrid Thurner (www.welt.de/debatte/kommentare/article113305194, abgerufen am 30.03.2019). Die Autorin vertritt im Wesentlichen die folgende These: „Drei Jahrzehnte sprachlicher Gleichbehandlung haben bloß unschöne Texte, aber keine gesellschaftliche Gleichstellung gebracht.“
Mit dieser Position konnten die SchülerInnen sich nun kritisch auseinandersetzen.
Folgende bedenkenswerte Argumente stellte uns freundlicherweise Paula Kolb (Q1a) aus ihrer gelungenen Klausur zur Verfügung:
Gendergerechte Sprache und ihre Realisierbarkeit
Ingrid Thurner spricht in ihrem Artikel unter anderem die sprachliche Realisierbarkeit gendergerechter Formulierungen in der deutschen Sprache an. Dem stimme ich zu, dass es schwer ist, den Genderstar, das Gendergap oder das Binnen-I im mündlichen Sprachgebrauch erkennbar zu machen. Wenn man zum Beispiel eine Rede schreibt, ist es schriftlich sehr simpel, das Binnen-I oder ähnliches zu verwenden, jedoch beim Vorlesen dieser Rede wird es beim Genderstar oder Gendergap nahezu unmöglich, diese Formulierung sprachlich umzusetzen und die entsprechende Intuition zu vermitteln.
Beim Binnen-I kann es selbst mit richtiger Betonung zu Verwirrung kommen und es besteht die Gefahr, dass der eigentlich richtige Hintergedanke dieser Formulierung in einem Missverständnis endet. Spreche ich SchülerInnen nicht genau genug aus, könnte sich die männliche Bevölkerung diskriminiert bzw. nicht angesprochen fühlen.
Es gibt jedoch auch dazu Alternativen, so kann entweder eine allgemeine Form wie zum Beispiel Lehrkräfte oder Arbeitende benutzt werden oder man greift auf das semantische Substantiv zurück, welches geschlechtsspezifisch und somit eindeutig ist. Ein Beispiel dafür ist, wenn ich in meiner Rede „Schüler und Schülerinnen“ sage.
Eine weitere These, die Ingrid Thurner schon relativ zu Beginn ihres Artikels anführt, besteht darin, dass PoliterInnen in Verdoppelungen „schwatzen“ müssen. Hierbei zeigt die Wortwahl bereits die Probleme der Argumentation auf. „Schwatzt“ klingt dabei, als wäre es überflüssig, sich die Zeit für gendergerechten Ausdruck zu nehmen. Was sie dabei außer Acht lässt, ist, dass diese gendergerechten Formulierungen allen Menschen unter anderem denen, die in der Politik tätig sind, die Möglichkeit geben, sich politisch zu positionieren.
Ansprache ist eine bewusste Entscheidung.
Man kann bewusst entscheiden, wen man ansprechen möchte, so rede ich nicht in „Verdopplungen“, wenn ich Bürger und Bürgerinnen sage, sondern ich spreche bewusst das männliche und weibliche Geschlecht an.
Benutzt man an dieser Stelle lediglich das generische Maskulinum, so besteht durchaus die Gefahr, dass sich ein Teil der Bevölkerung diskriminiert fühlt, und offenbart die konservative Haltung des Redners, und spricht so den ebenso konservativ orientierten Teil der Bevölkerung an.
Man kann also nicht von Verdopplungen sprechen, wenn zwei verschiedene Geschlechter oder mehr gemeint sind, es doppelt sich ja schließlich nichts.
Es geht um Gerechtigkeit.
Im gleichem Zuge sagt die Autorin, dass die „redundanten Windungen und Verrenkungen“, womit sie die geschlechtergerechte Sprache umschreibt, zu Gunsten der Frauen angebracht seien. Geschlechtergerechte Sprache wird, wie das Wort selbst schon beinhaltet, genutzt, um sich gerecht auszudrücken, nicht, um jemanden einen Gefallen zu tun. Denn es ist nicht gerecht, wenn ausschließlich das männliche Geschlecht Ausdruck in der deutschen Sprache findet. Nein, es ist sogar diskriminierend, wenn ausschließlich das männliche Geschlecht Ausdruck findet,
Sprache übergibt Menschen Verantwortung .
Sprache übergibt Menschen Verantwortung, Sprache ist Macht, der man sich bewusst werden muss. Sprache dient nicht nur zur expressiven Funktion, Sprache spricht Personen an, lobt und drückt Gefühle aus. Wenn dich jemand mit dem falschen Namen anspricht, wirst du dich auch nicht angesprochen fühlen. Wieso sollte also von Frauen oder anderen diversen Identitäten erwartet werden, dass diese sich angesprochen fühlen, wenn sie mit dem männlichen Geschlecht angesprochen werden. Geschlechtergerechte Sprache findet ihren Nutzen also nicht zu Gunsten des weiblichen Geschlechts, sondern um bewusst Platz und Anerkennung für alle Identitäten zu schaffen, und das eben auch auf sprachlicher Ebene.
Größeres Miteinander, und zwar als Folge einer gendergerechten Sprache!
Die Autorin meint, dass man, indem man auf sprachlicher Ebene Platz für Identitäten jeglicher Art mache, zunehmend betone, dass es kein Miteinander gäbe, sie sagt, es gäbe keine Übergeschlechtlichkeit, die einfach alle Menschen umfasst. Dem stimme ich zu, es gibt keine Formulierung, die alle Menschen umfasst, das generische Maskulinum sorgt für das Gefühl von Diskriminierung, sie umfasst nicht einfach alle Menschen, genau deswegen ist die Notwendigkeit der gendergerechten Sprache ja so groß.
Die Sprache betont hingegen nicht, dass es kein Miteinander gibt, jeder möchte gehört und angesprochen werden und wenn jeder dass akzeptiert, dass jeder Ausdruck in der Sprache finden möchte, wäre das Miteinander mit Sicherheit viel größer.
Es gibt Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wieso sollte da eine Komplementarität verlangt werden? Männer und Frauen unterscheiden sich, die Anatomie ist anders, Hormone unterscheiden sich, das gilt es nicht anzuzweifeln, sondern zu akzeptieren.
Gendergerechte Sprache soll gewollte gesellschaftliche Gerechtigkeit in der Sprache spiegeln. „Miteinander“ hat nichts mit „Gleichheit“ im Sinne von Gleichmacherei zu tun, nur mit „Gleichheit“ im Sinne von gleichen Rechten. Identitäten und Geschlechter sind nicht gleich, das hat jedoch nichts mit einem guten Miteinander zu tun.
Ein gutes Miteinander funktioniert mithilfe von Akzeptanz, die in der gendergerechten Sprache ihren Ausdruck findet.
Sprache verändert sich – Gerechtigkeit und sprachliche Gleichstellung sollten entscheidender sein als Sprachästhetik.
Ziel einer Erörterung ist es, zu einem eigenen Urteil zu kommen, wobei ich überzeugt bin, dass es zu dem Thema, welches Gleichberechtigung in Form von gendergerechter Sprache umfasst, keine zwei Meinungen geben sollte.
Wir leben im 21. Jahrhundert und meine Generation ist damit aufgewachsen, dass mehr möglich ist als je zuvor. Veränderungen und Entwicklung bekommen wir jeden Tag hautnah mit, Entwicklung in dem Sinne, dass Apple ein noch neueres, noch dünneres Smartphone herausbringt, aber auch in dem Sinne, dass sich Gesellschaft verändert und somit eben auch Sprache.
Es ist falsch, Geschlechter ihren traditionellen Aufgaben zuzuteilen, wir leben in einer Welt, in der alles möglich ist, wieso also beschränkt denken, dass Frauen nicht in der Lage seien, handwerkliche Berufe auszuüben.
Die Veränderung, dass das weibliche Geschlecht Ausdruck in der deutschen Sprache findet, ist mehr als notwendig, man muss die Gerechtigkeit über Sprachästhetik oder ähnliches stellen, denn wie soll sich die Gesellschaft entwickeln, wenn die neuen Generationen noch immer mit all den Klischees und sexistischen Traditionen aufwachsen, Kinderbücher müssen umgeschrieben werden, Frauen sollen blau und Männer pink tragen.
Wir müssen uns die Zeit für gerechten Ausdruck auf sprachlicher Ebene nehmen, um allen die Selbstverständlichkeit der Beidnennung deutlich zu machen. Denn wie soll Gleichberechtigung in der Gesellschaft funktionieren, wenn es die Menschheit sprachlich schon vor solch eine Herausforderung stellt, die viel einfacher zu überwinden ist, als viele es glauben.
Frauen, die den Ausdruck des weiblichen Geschlechts in der Sprache fordern, stellen sich nicht an, wollen keinen Extrawunsch, wollen lediglich das, was das männliche Geschlecht all die Jahre hatte, wollen das, was bislang für das männliche Geschlecht selbstverständlich war –sprachliche Gleichstellung.
Ein engagierter Klausurbeitrag – auch in der Sprache spiegelt sich, was für Courage erforderlich ist: Wissen, differenziertes Denken und Mut, Dinge auszusprechen.
Also ich habe kein Problem, Schüler gennant zu werden, auch wenn ich ein Mädchen bin. Mir ist es sogar egal, wenn mich jemand also als Schüler anspricht, bemerke ich es nichtmal. Ich finde, dass die Welt keine Nomen für die gleiche Person haben muss, nur, weil sie ein anderes Geschlecht hat. Immer wenn ich „Liebe Schüllerinnen und Schüler“ höre, wünsche ich einfach, ich wäre in einem englisch sprachigen Land. Und nein, dies ist nicht ungerecht, ich bin selber ein Mädchen, dass ist meine Meinung. Punkt.