Vor dem jüdischen Museum in Berlin standen einige Polizisten. Drinnen wurde ich freundlich von zwei Sicherheitsmitarbeitern begrüßt, die meinen vom Regen klammfeuchtem Mantel überprüften („Er fühlt sich einfach schwer an“, sagte ich nervös) – auf Gegenstände, die Menschen verletzen könnten. Danach lächelten sie, gaben mir sowohl den Mantel als auch meine Handtasche zurück, ich schloss sie weg und betrat das Museum, das 1700 Jahre jüdischer Kultur, Geschichte und Tragödie für die Öffentlichkeit zugänglich macht.
Das Jüdische Museum Berlin ist das größte jüdische Museum Europas und besonders bekannt für seine Architektur: Es wurde vom Ground-Zero-Architekten Daniel Libeskind entworfen, Sohn polnischer Holocaust-Überlebender. Die langen, nie endenden Korridore und plötzlichen Wände des Museums scheinen die moderne jüdische Geschichte zu symbolisieren; ebenso die Treppe, genannt „Achse der Kontinuität“, die die Besucher zwingt, etwa 70 Stufen hinaufzusteigen, um die Hauptausstellung zu erreichen, und dann weitere zehn Stufen, um einer leeren, weißen Wand gegenüberzustehen.
Das große Museum wurde 2001 für die Öffentlichkeit eröffnet, und man kann seine Architektur als ein Zeugnis für Libeskinds spätere Arbeit am Ground-Zero-Denkmal sehen, das der Toten der Terroranschläge vom 11. September gedenkt. Der Libeskind-Bau ist kunstvoll errichtet – seine charakteristische, blitzähnliche Form ist auch ein Design, das man auf den Postkarten sieht, die im kleinen Museumsshop verkauft werden (wo man alles von jüdischem Kleinkram in Form von Dreideln bis zu Kippas und Davidstern-Halsketten kaufen kann). Der Libeskind-Bau ist mit dem alten Gebäude verbunden, in dem sich die Kurzaustellungen und ein ausladender, schöner Innenhof befinden.
Die Dauerausstellung beginnt im 2. Stock mit einem allgemeinen Überblick der jüdischen Kultur sowie einer gemächlichen Darstellung der jüdischen Geschichte von ihren europäischen Ursprüngen (mit Fokus auf die aschkenasisch-jüdische Ethnizität) über den Antisemitismus des Mittelalters bis hin zu Juden als Patrizier in der Gesellschaft während der Renaissance – oft in Finanzpositionen tätig.
Das Museum zeigt auch die Geschichte des Zionismus im Sinne Herzls: Es werden Fotos und Testamente jener gezeigt, die vor der Entscheidung der Nazis, dass die einzige Antwort auf die „Judenfrage“ die vollständige Vernichtung des jüdischen Volkes sei, nach Palästina unter britischem Mandat fliehen konnten.
Natürlich ist ein großer Teil des Museums der Schoah gewidmet – treffend „Katastrophe“ genannt – und zeigt Zeugnisse der Opfer, Überlebenden und jener, die nicht mehr sprechen können. Zugleich ermöglichte der „Katastrophe“-Trakt jüdischen Künstlern, ihre Holocaust-reaktionären Werke auszustellen, die in ihrer Aussagekraft sehr stark sind. Kunst ist im gesamten Museum verstreut, um der Tragik der jüdischen Geschichte gerecht werden.
„Kunst sollte die Beunruhigten befriedigen und die Zufriedenen beunruhigen.“ Die Kunstwerke im „Katastrophe“-Trakt sind mit Abstand die eindringlichsten: Ihr Ziel ist es nicht nur, über jüdische Geschichte in hellen, weiten Räumen zu informieren, sondern das schiere Ausmaß des Grauens, das die Schoah war, zu veranschaulichen. Es funktioniert sehr gut; man verlässt das Museum mit einer gewissen Melancholie.
Das Museum bemüht sich, die jüdische Identität nicht auf ihre größten Tragödien zu reduzieren: So wie es Zeugnisse des Todes gibt, gibt es auch Zeugnisse jüdischen Lebens und jüdischer Stärke
Als ich mich spontan mit einem Kurator des Museums zusammensetzte, sagte er mir, das Ziel sei es, die Intersektionalität in der jüdischen Geschichte zu zeigen und hervorzuheben, dass es jenseits der jüdischen Tragödie auch jüdische Außergewöhnlichkeit gibt.
Etwa 70 jüdischen Persönlichkeiten von kultureller, politischer und wissenschaftlicher Bedeutung ist ein weiter, heller Raum gewidmet; seine Wände sind mit verspielten Skizzen von ihnen bedeckt, und ihre Geschichten (von Jesus bis Leonard Cohen) werden in einem dicken Buch erzählt, das auf einem Ottomanen liegt, auf dem Besucher sitzen können, bevor sie den Teil der Ausstellung betreten, der den Holocaust behandelt.
Die Jüdische Ruhmeshalle feiert jüdische Errungenschaften und fungiert als friedlicherer Teil der Ausstellung. Sie befindet sich direkt neben „Katastrophe“.
Daneben steht ein kleiner Automat, der für 2 Euro pro Tüte koschere Goldbären enthält. Die Ruhmeshalle ist als Pause von der intensiven und verstörenden Natur gedacht, die den Rest des Museums durchzieht – und das funktioniert ganz wunderbar.

